4.Fastentag

Dienstag.
So weit so gut.
Ich wache völlig entspannt und ausgeruht um 6.30 Uhr ohne Wecker auf. Eine Premiere im Winter. Das Hungertief ist weg. Ich trinke einen Schluck Wasser und beginne mit der Morgenroutine. Kurzfristig fühlt es sich an als ob ich Bäume ausreissen könnte. Die Welt von der ich angereist bin scheint wahnsinnig weit weg.



Ich bin in einer Seifenblase und der Rest der Menschheit spielt ausserhalb. Ich vernehme schon dumpfe Geräusche von ausserhalb wie ein lachen, ein klirren, aber eben sehr weit weg. Wie das Essen. Ich denke daran, aber es geht auch ohne. Es dreht sich nicht jeder Gedanke ums Essen. Seltsames Gefühl; nicht beängstigend, aber eigenartig. Auf jeden Fall um Lichtjahre leichter, als das Rauchen aufgeben. Ich versuche den Abstand zu nützen um mir über meinen Alltag klar zu werden. Nach fünf Tagen im Kloster kommt es mir vor als ob mein Leben Monate weit weg wäre. Ich lebe in einer Art konserviertem Zustand. Ob es mir gelingt in dieser speziellen Situation- mit der Fastengruppe, die auch in meiner Seifenblase sitzt - meine Gedanken und Verhaltensmuster neu zu ordnen kann ich noch nicht sagen. Ich bin skeptisch. Da müsste man sich wahrscheinlich dann doch die 40 Tage Fastenzeit gönnen.



In sich gehen ist schwer, wenn man es nicht von alleine kann und dann auch noch immer Menschen um sich hat, von denen man sich nur all zu gerne ablenken lässt. Wenn ich in turbulenten Situationen abschalten könnte würde ich diese Woche ja gar nicht brauchen. Mir fehlt ein bisschen die strenge Hand. Die Milde und Gelassenheit unserer Fastenleiterin macht mich ein bisschen nervös. Vielleicht ist aber gerade das meine Prüfung. Wer weiss. Am Nachmittag lasse ich heute wieder meine Muskeln durch eine Massage statt eine Wanderung in Bewegung bringen. Es gibt nichts Besseres, wenn man an die richtige Person trifft.



Ach ... fast hätt' ich den Speiseplan von heute vergessen! Mittags gab's heut' Apfel-Sellerie Saft mit einem Schuss Honig und Zimt. Richtig lecker. Langsam gewöhne ich mich an diese Obst-Gemüse-Kombis. Abends am festlich gedeckten Tisch wurde die Suppe serviert mit allerlei Phantasien der Fastenteilnehmer über Brot, Fleischereigerüche, Orangenträume, Braten mit Niedergarmethode, über Fisch und diverse Wiener Märkte, bei den Restaurants verabschiedete ich mich dann zur Nachtruhe.
Morgen ist der letzte Fastentag.

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